Weekly Backlog KW 48/2025
Katrin Peter 5 Minuten Lesezeit

Weekly Backlog KW 48/2025

Europa hat diese Woche wieder laut „Digitale Souveränität!" gerufen – und in der Praxis dann oft das Gegenteil getan. Österreich liefert, Deutschland konferiert, Bayern kapituliert vor Microsoft und die EU versucht Regulierung zu vereinfachen, während sie an entscheidenden Stellen neue Grauzonen öffnet. Und zwischendrin zeigt ein US-Sanktionsfall, wie schnell ein europäischer Richter digital entmündigt werden kann. Das alles ist nicht zufällig. Es ist der Zustand einer Region, die Souveränität predigt, aber immer noch nicht konsequent entscheidet. Höchste Zeit, den Nebel zu lichten.
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Editorial

Europa hat diese Woche wieder laut „Digitale Souveränität!" gerufen – und in der Praxis dann oft das Gegenteil getan. Österreich liefert, Deutschland konferiert, Bayern kapituliert vor Microsoft und die EU versucht Regulierung zu vereinfachen, während sie an entscheidenden Stellen neue Grauzonen öffnet. Und zwischendrin zeigt ein US-Sanktionsfall, wie schnell ein europäischer Richter digital entmündigt werden kann. Das alles ist nicht zufällig. Es ist der Zustand einer Region, die Souveränität predigt, aber immer noch nicht konsequent entscheidet. Höchste Zeit, den Nebel zu lichten.


Die Tech-News der Woche

Digitalpaket der EU

Die EU versucht, ihren juristischen Flickenteppich zu sortieren – ein nachvollziehbarer Schritt, denn Unternehmen verlieren heute mehr Zeit mit Rechtsauslegung als mit Softwareentwicklung. Aber die angestrebte Harmonisierung kratzt an Stellen, an denen man sehr wachsam sein muss. Wenn personenbezogene Daten plötzlich „unkritisch" sein sollen, sobald eine Identifizierung nur mit „unvertretbarem Aufwand" möglich ist, öffnet man Big Tech einen Interpretationsspielraum, der nichts mit Modernisierung zu tun hat. Und wenn KI-Training auf Basis „berechtigter Interessen" erlaubt werden soll, ohne klare Leitplanken, schafft man genau die Grauzonen, die großen Plattformen strategische Vorteile verschaffen.

Auch die Idee, Cookie-Banner durch technische Präferenzsignale zu ersetzen, klingt erst angenehm – bis man fragt, wer diese Standards definiert. Browserhersteller? Plattformkonzerne? Europa? Spoiler: Vermutlich nicht Europa.

Weniger Bürokratie ist gut. Weniger Grundrechte nicht. Das Digitalpaket ist kein Verwaltungsupdate, sondern ein Eingriff in die Architektur digitaler Selbstbestimmung. Die Details entscheiden, ob am Ende Vereinfachung oder Verwässerung herauskommt.

🔗 https://heise.de/-11085595


Österreich kappt Microsoft-Abhängigkeit

In Österreichs Wirtschaftsministerium hat man das getan, was viele Verwaltungen seit Jahren hätten tun können – aber nicht gewagt haben: 1.200 Mitarbeitende von Microsoft wegmigriert, hin zu Nextcloud. Vier Monate. Kein Politikerdrama, kein „Wir prüfen mal". Einfach umgesetzt. Warum? Weil Microsoft zentrale Anforderungen an Datenschutz und Sicherheit weiterhin nicht erfüllt, weder unter DSGVO noch unter NIS2. Und weil man irgendwann akzeptieren muss, dass souveräne IT keine US-Cloud-Bittstellerrolle verträgt.

Der Ansatz ist erfrischend pragmatisch. Teams bleibt für externe Gespräche, intern arbeitet man souverän. Dass es mit minimalen Reibungsverlusten funktioniert hat, liegt nicht an Glück, sondern an sauberem Management. Während Bayern erklärt, warum Open Source angeblich nicht zuverlässig genug sei, zeigt Österreich, dass das Gegenteil stimmt – wenn man es ernst meint.

🔗 https://itsfoss.com/news/austrian-ministry-kicks-out-microsoft/


US-Sanktionen entmündigen europäischen Richter

Der Fall Nicolas Guillou zeigt, wie dünn die digitale Souveränität Europas wirklich ist. Ein französischer Richter des Internationalen Strafgerichtshofs wird von den USA sanktioniert – und verliert binnen Minuten den Zugriff auf seine digitalen Dienste. Nicht durch europäische Entscheidungen, sondern durch US-Unternehmen, die europäische Infrastruktur bereitstellen. Konten weg. Buchungen weg. Zahlungsfunktionen weg. Ein Klick in Washington, und ein europäischer Amtsträger ist digital handlungsunfähig.

Es ist die logische Folge einer Architektur, in der Europa zentrale digitale und finanzielle Infrastruktur ausgelagert hat. Dass die EU sogar ein Instrument wie die Blocking-Verordnung hätte, es aber aus politischer Bequemlichkeit nicht einsetzt, verschärft die Abhängigkeit. Der Richter bringt es auf den Punkt: Ohne eigene Infrastruktur, keine Souveränität. Und ohne Souveränität keinen funktionierenden Rechtsstaat.

🔗 https://www.heise.de/news/Wie-ein-franzoesischer-Richter-von-den-USA-digital-abgeklemmt-wurde-11087453.html


Bayerns Digitalstrategie: Selbstbewusst abhängig

Bayern verkündet seine Digitalstrategie – und schafft es, gleichzeitig hohe Ambitionen und eine erstaunliche Bereitschaft zur Selbstentmündigung zu zeigen. „Kein Verlass allein auf Open Source", heißt es. Übersetzt: Wir trauen europäischen Technologien nicht und übergeben die Landes-IT lieber an Microsoft & Co. Das Rückgrat der künftigen Infrastruktur wird jedenfalls Azure, AWS und Google Cloud.

Der wirtschaftliche Vergleich zwischen OpenDesk (30€) und Microsoft (50€) wird als „kaum relevant" abgetan, während die langfristigen Lock-in-Kosten großzügig ignoriert werden. Dass Bayern parallel eine eigene KI baut – die dann in Azure läuft – macht es fast schon komisch. Man investiert Millionen, um Abhängigkeiten abzubauen, und landet exakt im alten Muster.

Die Strategie wirkt wie ein Handbuch dafür, wie man Souveränität rhetorisch einfordert, aber technisch abbestellt.

🔗 https://www.heise.de/news/Digitalstrategie-Bayern-setzt-auf-zentrale-Infrastruktur-Microsoft-Bayern-KI-11088687.html


Zentrale EU-Meldestelle

NIS2, DSGVO, DORA: Drei Meldepflichten, drei Prozesse, drei Behörden – ein täglich gelebter bürokratischer Alptraum. Die ENISA soll nun eine zentrale Anlaufstelle schaffen, was auf den ersten Blick nach Entlastung aussieht. Tatsächlich ist es ein Eingeständnis, wie dysfunktional die aktuelle Lage ist. Ein einheitliches Portal hilft aber nur, wenn die dahinterliegenden Verpflichtungen ebenfalls harmonisiert werden. Sonst baut man ein schönes Eingangstor zu drei widersprüchlichen Räumen.

Europa hat hier eine reale Chance: eine transparente, offene, auditierbare Plattform, die nicht bestraft, sondern unterstützt. Aber dazu muss man Regulierung als Architektur denken – nicht als Sammelstelle.

🔗 https://www.golem.de/


Blogpost-Empfehlungen

ayedo: Resilienz heißt Wahlfreiheit

Der Blogpost zeigt sehr klar, was Europa systematisch verdrängt: Unsere digitale Wirtschaft hängt an globalen Infrastrukturen, deren Ausfall nicht nur einzelne Dienste betrifft, sondern Lieferketten, Behördenportale, Zahlungsprozesse, Gesundheitswesen – alles. Große Plattformen sind skalierbar, aber sie sind auch Single Points of Failure. Resilienz entsteht erst, wenn Infrastrukturen hintereinander austauschbar werden und Standards statt Anbieterzentrierung entscheiden.

ayedo setzt genau dort an: als souveräne Betriebsschicht über beliebiger Infrastruktur. Kubernetes, aber nicht als Modewort, sondern als technisches Fundament für echte Providerunabhängigkeit.

🔗 https://ayedo.de/posts/ayedo-zeigt-wie-resiliente-infrastruktur-aussehen-muss/


Axel Gillert: Souveränität beginnt nicht im Cloud-Interface

Gillerts Mini-Rechenzentrum ist kein Homelab, sondern ein Gegenentwurf zur bequemen Plattformökonomie. Sein Ansatz ist radikal einfach: Wer verstehen will, wie Systeme funktionieren, muss sie bauen – mit Latenz, Hitze, Storage, echten Bootvorgängen und Multi-Arch-Setups, nicht mit Marketing-Folien. Europa diskutiert Souveränität gerne abstrakt; Gillert zeigt sie in Hardware.

🔗 https://www.pandolin.io/project-rebel-homebase-teil-1/


Kommentar der Woche

Sebastian Himstedt bringt es brillant auf den Punkt: In Berlin wird über digitale Souveränität philosophiert, während das Wirtschaftsministerium zeitgleich eine Ausschreibung veröffentlicht, um AWS als Basis für die Förderzentrale Deutschland einzukaufen. Inklusive AWS European Sovereign Cloud. Digitale Souveränität, made by Amazon. Ironischer geht es kaum.

🔗 https://www.linkedin.com/posts/sebastian-himstedt-84aa58197_mittwoch-in-berlin-digitale-souver%C3%A4nit%C3%A4t-share-7398778746364653568-MGNj


Empfehlung

Der Digitalgipfel zeigt, wie verletzlich Europa weiterhin ist. Und warum Anbieter wie Zendis nicht über Souveränität reden – sondern sie implementieren. 160.000 Lizenzen sind kein Experiment, sondern der Beweis, dass Alternativen funktionieren.

🔗 https://www.youtube.com/watch?v=tIF4TnakAL4


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