Der Digital Networks Act (DNA): Europas Konnektivitätsreform mit Sprengkraft
David Hussain 4 Minuten Lesezeit

Der Digital Networks Act (DNA): Europas Konnektivitätsreform mit Sprengkraft

Mit dem Digital Networks Act (DNA) bereitet die EU eine der tiefgreifendsten Reformen ihres Telekommunikationssektors vor. Ziel ist es, die regulatorische Fragmentierung zu überwinden, Investitionen in zukunftsfähige Netzinfrastrukturen zu beschleunigen und Europas digitale Wettbewerbsfähigkeit auf globaler Ebene zu stärken.
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Warum der DNA das digitale Fundament Europas neu definiert

Mit dem Digital Networks Act (DNA) bereitet die EU eine der tiefgreifendsten Reformen ihres Telekommunikationssektors vor. Ziel ist es, die regulatorische Fragmentierung zu überwinden, Investitionen in zukunftsfähige Netzinfrastrukturen zu beschleunigen und Europas digitale Wettbewerbsfähigkeit auf globaler Ebene zu stärken.

Doch der DNA ist mehr als ein technokratisches Gesetzeswerk: Er steht für einen Paradigmenwechsel hin zu einer einheitlichen, resilienten und souveränen digitalen Infrastruktur – und zugleich im Zentrum einer hochemotionalen Kontroverse um die Einführung eines sogenannten Fair-Share-Modells. Dieses soll große Content-Anbieter zur Mitfinanzierung der Netze verpflichten – mit potenziellen Folgen für Netzneutralität und Offenheit des Internets.

Der Reformdruck: Warum der EECC nicht mehr ausreicht

Die aktuelle Gesetzesgrundlage – der Europäische Kodex für elektronische Kommunikation (EECC) – gilt als überholt. Er basiert auf einer Richtlinie, die in jedem Mitgliedstaat individuell umgesetzt wurde – mit entsprechend uneinheitlichen Resultaten.

Die zentralen Defizite:

  • 27 nationale Märkte mit unterschiedlichen Regeln
  • Kein EU-weiter Skalierungsvorteil für Netzbetreiber
  • Regulierungslücke bei Cloud- und Plattformdiensten

Mit dem DNA wechselt die EU zur Verordnung als Rechtsform – was bedeutet: einheitlich, direkt anwendbar, verbindlich. Damit soll ein echter europäischer Konnektivitätsbinnenmarkt entstehen.

Die strategischen Ziele des DNA

1. Vereinheitlichung und Harmonisierung

Der DNA ersetzt den Flickenteppich nationaler Regulierungen durch ein konsistentes Rahmenwerk. Die Vision: Weniger Bürokratie, mehr Skaleneffekte, höhere Investitionssicherheit.

2. Beschleunigter Netzausbau

Technologische Schwerpunkte:

  • Vollständige Glasfaser-Migration
  • Abschluss des 5G-Rollouts, Vorbereitung auf 6G
  • EU-weites Spektrumsmanagement statt nationaler Alleingänge

3. Resilienz und Sicherheit

Im Fokus steht der Schutz kritischer Infrastrukturen wie Unterseekabeln oder 5G-Komponenten. Die Kommission erwägt ein gemeinsames EU-Governance-Modell für besonders sensible Netzelemente.

Übersicht: Die strategischen DNA-Ziele im Überblick

Zielbereich Konkretisierung Implikation
Marktintegration Einheitlicher digitaler Binnenmarkt Wechsel von Richtlinie (EECC) zu Verordnung (DNA)
Netzausbau Glasfaser, 5G, Spektrums-Harmonisierung EU-Zuständigkeit für Frequenzvergabe und Ausbauprioritäten
Investitionsförderung Beteiligung großer Traffic-Verursacher (LTGs) Diskussion um Fair-Share-Modell
Digitale Souveränität Schutz kritischer Infrastruktur Gemeinsames EU-Governance-System in Planung

Der Konfliktpunkt Fair Share: Wer soll die Netze bezahlen?

Die Sichtweise der Telcos

Telekommunikationsanbieter fordern, dass Large Traffic Generators (LTGs) – etwa Netflix, Google, Meta – an den Netzwerkkosten beteiligt werden. Ihre Argumente:

  • 95 % des Datenverkehrs stammen von wenigen Plattformen
  • Telcos finanzieren die Infrastruktur – LTGs monetarisieren sie
  • Eine faire Beteiligung soll die Investitionslücke von 174 Mrd. Euro schließen

Vorgeschlagen wird ein Mechanismus, bei dem LTGs ab einem Schwellenwert (z. B. 5 % des nationalen Datenverkehrs) verhandlungsverpflichtet sind – mit verbindlicher Streitbeilegung durch Behörden.

Die Gegenposition: Netzneutralität und offenes Internet in Gefahr

Kritiker – darunter NGOs, Plattformbetreiber und Verbraucherverbände – befürchten:

  • Verstoß gegen Netzneutralität
  • Einschränkung des offenen Internets
  • Kostensteigerung für Endverbraucher
  • Regulatorische Komplexität und Marktverzerrung

Insbesondere das Prinzip des Settlement-Free Peering (SFP) – also der kostenfreie Datenaustausch zwischen Netzen – sei durch den DNA gefährdet. Es sei das Rückgrat eines offenen, dynamischen Internets.

Vergleich der Positionen zum Fair-Share-Modell

Aspekt Befürworter (Telcos) Kritiker (LTGs, Zivilgesellschaft)
Finanzierungsstruktur Fairer Ausgleich, um Investitionen zu sichern Zusätzliche Kosten werden auf Nutzer und KMUs abgewälzt
Netzneutralität Kann durch Schutzmechanismen gewahrt bleiben Gefahr diskriminierender Zugangsmodelle
Marktdynamik Stärkung europäischer Anbieter durch Skalierung Fragmentierung durch nationale Schwellenwerte
Internetarchitektur Stärkere Kontrolle der Interkonnektion Zerstörung des funktionierenden SFP-Modells

Die geopolitische Komponente: Infrastruktur als Sicherheitsfrage

Neben wirtschaftlichen und technologischen Zielen verfolgt der DNA auch eine klare sicherheitspolitische Agenda:

  • Schutz vor ausländischem Zugriff auf kritische Netzinfrastruktur
  • Aufbau von strategischer Autonomie bei Konnektivitätsressourcen
  • Vorbereitung auf hybride Bedrohungsszenarien und Sabotageakte

Die geplante gemeinsame Steuerung der Unterseekabel-Infrastruktur ist Ausdruck dieser sicherheitspolitischen Neuorientierung.

Handlungsempfehlungen: Digitalisierung ohne Kollateralschäden

Um den DNA zum Erfolg zu führen, muss die EU infrastrukturelle Investitionssicherheit und digitale Freiheitsrechte zugleich wahren. Drei Vorschläge:

1. Transparenz statt Zwang

Anstelle fester Gebühren sollten Nutzungskosten und Gewinne offengelegt werden, um faire Verhandlungen datenbasiert zu ermöglichen.

2. Investitionsmodelle mit Anreizkomponenten

Die EU sollte performancebasierte Finanzierungsinstrumente entwickeln – ähnlich wie Pay-per-Milestone-Modelle in der Bauwirtschaft.

3. Zweckbindung von Einnahmen

Etwaige Gebühren sollten ausschließlich für nationalen Netzausbau verwendet werden – keine Querfinanzierung von Konzerninteressen.

Fazit: Der DNA als Testfall für Europas digitale Führungsansprüche

Der Digital Networks Act ist mehr als ein Telekomgesetz. Er ist Europas Versuch, die Spielregeln für das digitale Jahrzehnt selbst zu schreiben – souverän, innovationsfreundlich und in technischer Führung.

Doch der DNA wird sich daran messen lassen müssen, ob er das Spannungsfeld zwischen Infrastrukturförderung und digitaler Freiheit auflösen kann. Gelingt dieser Balanceakt nicht, drohen entweder Investitionsstau – oder die Aushöhlung des offenen Internets.

Der DNA ist damit ein Lackmustest für Europas Fähigkeit, regulatorische Vision mit technologischer Realität zu vereinen.


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